Im Sanitätshaus
Bühnenbild:
Rollatoren und Elektro-Rollstühle, Displays mit menschlichen Körpern in Bewegung, die Stützkorsette, Gelenkschoner und Blutdruck- wie Blutzuckermessgeräte tragen.
Neffe:
Guten Tag, wir möchten einen Rollstuhl kaufen. Wir hatten gestern angerufen und uns angemeldet.
Berater:
Davon weiß ich nichts. Das tut mir leid.
Neffe:
Ich hatte extra gefragt, ob es hier eine gute Auswahl von Rollstühlen gibt und eine Beratung. Wir suchen einen Rollstuhl, der erstens möglichst leicht und zweitens faltbar sein sollte, für den Transport im Auto. Außerdem hätten wir gern eine Tasche dabei, für Handtasche und Handy.
Berater:
Wie leicht soll er denn sein?
Neffe:
Ich habe in ihrem Katalog einen mit 8,2 Kilo gesehen, das Superleichtgewicht.
Berater:
Den haben wir gerade nicht da, aber ich kann ihnen einen gebrauchten zeigen.
Tante:
Das darf doch nicht wahr sein.
Neffe:
Ja gut, dann zeigen sie doch mal.
(Berater verschwindet im Bühnenhintergrund, erscheint wieder mit einem Rollstuhl.)
Berater:
So, da isser.
Tante:
Müssen sie mich nicht vorher vermessen?
Berater:
Nein, das ist nicht nötig.
Tante:
Aber bei mir war schon mal das Reha-Team, die haben mich vermessen, und bei meiner Nachbarin im Altenheim kommen die sogar dreimal im Jahr, um sie neu zu vermessen und den Rollstuhl entsprechend einzustellen. Wie oft warten sie denn die Rollstühle eigentlich?
Berater:
Die Rollstühle sind laut Herstellerangabe wartungsfrei. Also, die ersten drei Jahre haben sie auf jeden Fall Ruhe. Kann sein, dass dann mal jemand vorbeikommen muss, aber da brauchen sie nur anrufen, wir kommen sofort.
Tante:
Hmm. Das würde ich gern genauer wissen.
Neffe:
Evi, mach es doch nicht so kompliziert. Die Dinger sind narrensicher. Mach dir doch keine unnötigen Sorgen.
Tante:
Ich weiß doch, wie das läuft. Dann kommt jemand rein und fummelt an meinem Rollstuhl rum, und hinterher ist alles verstellt.
Neffe:
Ich bitte dich, wer soll denn das sein? Warum sollte er das tun? Und was kann er denn verstellen?
Tante:
Du kennst doch den Ludwig. Der weiß nicht mehr, was er tut. Und der kommt mich jeden Tag besuchen. Und du glaubst es nicht, mit zwei Handgriffen hat der mir die Höhe der Armlehnen verstellt.
Neffe:
Evi, du lenkst vom Thema ab. Du wolltest einen Rollstuhl kaufen. Deshalb sind wir hier.
Tante:
Du hast recht.
Berater:
Wollen sie den Rollstuhl einmal ausprobieren.
Tante:
Sehr gerne.
(Neffe hilft ihr, in den Rollstuhl umzusteigen.)
(Die Tante trippelt durch das Bühnenbild. Konzentriert und unbeholfen.)
Berater:
Ich mach ihnen mal die Fußstützen ab, dann können sie leichter manövrieren.
(Fußstützen werden entfernt, Tante trippelt weiter und nimmt den Handlauf tastend zur Hilfe. Sie entfernt sich vom Neffen und dem Berater.)
Neffe:
Evi?
Berater:
Ich hol sie mal zurück.
(Verschwindet im Hintergrund. Kehrt mit der Tante zurück.)
Tante:
Nicht so schnell, mir wird schwindelig. Sagen sie mal, mir rutschen meine Füße immer nach hinten auf diesen Fußstützen, vor allem, wenn sie schnell fahren, und wenn es so ruckelt, verstehen sie, was ich meine? Gibt da nicht etwas, um die Füße daran zu hindern, immer nach hinten zu rutschen?
Berater:
Da muss ich mal nachfragen.
(Berater verschwindet im Bühnenhintergrund.)
Tante:
Das hatte ich mir ganz anders vorgestellt.
Neffe:
Der Typ ist völlig ahnungslos, das Sanitätshaus ist ein Witz. Ich hätte den Rollstuhl im Internet bestellen sollen.
Tante:
Aber im Internet kann man mich nicht vermessen.
Neffe:
Evi, du wiegst 52 Kilogramm, du brauchst keinen Spezialrollstuhl.
(Berater kehrt zurück.)
Berater:
Da haben wir dieses Stützband mit Klettverschluss, das mache ich jetzt hinter ihre Füße … so, das befestige ich an den Querholmen, und fertig.
Berater zum Neffen:
Wollen sie mal schieben?
(Neffe schiebt Rollstuhl mit Tante durch das Bühnenbild.)
Tante:
Ja, so ist besser, aber das ist natürlich lästig.
Neffe:
Evi, du brauchst den Rollstuhl doch hauptsächlich in deinem Zimmer oder innerhalb des Altenheims. Dann brauchst du weder die Fußstützen noch das Stützband, sondern trippelst über den Boden. Und wenn du einmal die Woche außer Haus bist, dann wird das Stützband halt drangemacht.
Tante:
Aber ich will doch wieder mehr unternehmen, aktiver sein. Ich will mich nicht aufgeben. Ich muss raus, unter die Leute!
Neffe:
Ja, das kannst du doch auch. Der Unterschied ist, ob dich jemand schiebt oder nicht. Wenn dich jemand schiebt, brauchst du die Stützen und das Band.
Tante:
Da gibt es ja diese Ehrenamtlichen, das muss ich die Frau Hanka fragen.
Neffe:
Mach das. Frag die Frau Hanka.
Tante:
Wie breit ist dieser Rollstuhl?
Neffe:
Keine Ahnung, ich schätze mal 60-70cm.
(Sie kommen zurück zum Berater.)
Tante:
Können sie mir sagen, wie breit dieser Rollstuhl ist?
Berater:
Äh, Moment.
(Holt ein Maßband und misst.)
Berater:
66cm.
Tante:
Das ist zu breit für die Tür zum Badezimmer.
Neffe:
Quatsch, Türen sind mindestens 80cm breit, das ist Vorschrift.
Tante:
Aber ich habe eine Schiebetür.
Neffe:
Das spielt keine Rolle, der Rollstuhl passt da durch, safe.
Tante:
Gibt es denn auch Rollstühle, die nicht so ruckeln?
Berater:
Ja, aber die sind schwerer und haben dickere Reifen.
Tante:
Zeigen sie mir doch bitte mal so einen Rollstuhl.
Berater:
Ja, da muss ich mal schauen, ob wir den haben.
Tante:
Das darf doch nicht wahr sein. Was haben sie denn da?
Berater:
Ich schau mal kurz nach.
(Berater verschwindet im Bühnenhintergrund.)
Neffe:
Du machst es wieder unnötig kompliziert. Leicht ist besser für dich.
Tante:
Aber ich kann den anderen doch mal ausprobieren. Wenn ich mir eine Bluse kaufe für 80 Euro, dann kann ich mich auch schneller entscheiden, aber hier geht es um etwas wichtiges. Das muss du doch verstehen. Sei doch nicht so ungeduldig.
Neffe:
Du siehst doch, was doch für ein Laden ist.
Tante:
Aber der junge Mann ist doch willig, gib ihm doch eine Chance.
(Berater kehrt zurück mit einem weiteren Rollstuhl mit größeren Rädern.)
Tante:
Der sieht ja schick aus.
(Smartphone brummt)
Neffe:
Das ist dein Handy.
(Er fummelt das Telefon aus der Handtasche.)
Neffe:
Zeit für deine Medikamente.
(Neffe holt eine Tabletten-Batterie aus der Handtasche und reicht der Tante zwei Pillen.)
Tante:
Wasser, ich brauche Wasser.
(Berater entfernt sich und kommt mit einem Glas Wasser zurück. Die Tante trinkt.)
Tante:
Haben sie vielleicht ein Bonbon für mich? Mein Mund fühlt sich so taub an.
(Berater entfernt sich erneut, kehrt mit einer kleinen Tüte Gummibärchen zurück.)
Berater:
Gummibärchen haben wir, bitte schön.
(Tante reißt die Tüte auf und stopft sich Gummibärchen in den Mund.)
Berater:
So, das ist der Rollstuhl mit den größeren Reifen, für draußen gut geeignet, aber viel schwerer als der andere.
(Tante kaut teilnahmslos auf den Gummibärchen.)
Neffe:
Willst du den mal ausprobieren?
(Die Tante nickt und wird mit Hilfe des Neffen in den schweren Rollstuhl bewegt. Sie versucht, ihn tippelnd zu bewegen und kommt langsam voran.)
Neffe:
Das geht viel schwerer bei dem, nicht wahr?
Tante:
Ich merke keinen Unterschied.
Neffe:
Aber ich kann den Unterschied sehen.
Tante:
Du musst ja nicht damit fahren.
(Tante verschwindet im Bühnenhintergrund.)
Neffe zum Berater:
Das macht doch keinen Sinn.
Berater:
Nein, diskutieren macht wenig Sinn.
Neffe:
Was kosten die denn eigentlich?
Berater:
Da muss ich nachfragen.
Neffe:
Ja wie, sie haben die Preise nicht im Kopf, das ist ungewöhnlich. Normalerweise hängt das Preisschild direkt dran.
Berater:
Bei Neuware schon, aber die sind ja gebraucht.
Neffe:
Ach so. Wir hätten aber gerne einen neuen. Warum zeigen sie uns gebrauchte?
Berater:
Die neuen haben lange Lieferzeiten. Meistens kaufen die Leute gebrauchte.
Neffe:
Und wenn ich jetzt doch einen neuen will?
Berater:
Dann kontaktiere ich die Herstellerfirma und frage nach, wie lange es dauert.
Neffe:
Hmm.
(Die Tante kommt zurück.)
Tante:
Mir tun die Fußgelenke weh. Und mit dem Daumen komme ich immer an die Räder. Der Daumen fühlt sich schon ganz taub an. Kannst du bitte mal nachsehen?
(Neffe schaut sich den Daumen an.)
Neffe:
Ich sehe nichts.
Tante:
Das Handrad ist schon ziemlich aufgeraut, siehst du die Katschen? Da hab ich mir wehgetan. Haben sie eigentlich auch spezielle Daumenschoner für Rollstuhlfahrer?
Berater:
Nein, tut mir leid. Das gibt es nicht.
Tante:
Ich meine aber, ich hätte in ihrem Katalog so etwas gesehen.
Berater:
Vielleicht in einer anderen Abteilung.
Tante:
Wo ist denn die Abteilung?
(Der Berater deutet ins Nirgendwo.)
Berater:
Hinter dem Wartebereich. Ich kann gleich mal nachfragen.
Neffe:
Also der ist wirklich ramponiert, da kann sie sich die Hände aufkratzen. Haben sie keinen neueren gebrauchten?
Berater:
Da muss ich mal nachsehen im Lager.
Neffe:
Ja bitte. Und fragen sie bitte auch gleich, was er kostet.
(Berater verschwindet im Bühnenhintergrund.)
Tante:
Ich könnte schwören, dass es Daumenschoner für Rollstuhlfahrer gibt.
Neffe:
Ich kann dir ja Handschuhe kaufen.
Tante:
Ich bitte dich.
(Berater kehrt mit einem weiteren Rollstuhl zurück.)
Berater:
Schauen sie mal, der ist wie neu.
(Die Tante lässt ihren Daumen über das Handrad laufen.)
Tante:
Schön glatt.
Neffe:
Und der Preis?
Berater:
Wie bei Rennrädern, je leichter, desto teurer. Der superleichte hier liegt bei 680 Euro, der schwere bei 550 Euro.
Tante:
Ich brauche ein Kissen, ich sitze hier viel zu flach. Welche Kissen haben sie denn? Passen die farblich zum Rollstuhl?
Berater:
Ich schau gleich mal nach, die Kissen haben wir im Lager.
Neffe:
Warum gehen wir nicht gleich ins Lager, statt hier im Verkaufsraum zu stehen. Da kann ich ja gleich ins Internet gehen.
Tante:
Wann vermessen sie mich denn endlich? Ohne Vermessung kaufe ich nichts. Die Frau Albers nebenan ist auch vermessen worden, zweimal schon. Hört mir hier eigentlich irgendjemand zu? Alles muss man zweimal erklären und außerdem ist mein Mund trocken. Kann ich bitte noch mal Wasser haben? Und noch eine Tüte Gummibärchen bitte.
(Berater verschwindet im Bühnenhintergrund.)