Bergamo

Fahren sie nicht nach Bergamo. Auf keinen Fall aus Richtung Norden. Dann kommen sie nämlich zwangsläufig durch die Ortschaft Cisano Bergamasco, dessen Durchquerung im Alleingang eine Stunde ihrer Lebenszeit verschlingt, weil es auf dieser Strecke von nur 1,8 Kilometern neun Ampeln und 27 Zebrastreifen gibt. Für diese Inflation gibt es einen Grund. Auf beiden Seiten der Straße befinden sich offenbar zahlreiche Altersheime und Einrichtungen für Schwerbehinderte, deren Insassen die Zebrastreifen unablässig überqueren, mit Rollatoren, Rollstühlen oder mobilen Infusionsgeräten, die sie auf Rollen mitführen. Man steht und hofft inständig, dass ein wackliger Passant die andere Straßenseite erreicht, bevor der nächste Kandidat auf den Zebrastreifen einschwenkt. Man hofft auf das Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit. Ein Rentner, ein Auto, immer schön abwechselnd. Aber so ist es nicht. Es kommen drei Renter von links, vier von rechts, dann kann maximal ein Fahrzeug weiterfahren, bevor wieder die Rollatoren dran sind. Noch 23 Kilometer bis Bergamo, Nerven liegen blank.

Am Stadtrand von Bergamo angekommen, möchte man natürlich in die Citta Alta, die obere Stadt, deren letzter öffentlicher Parkplatz im Jahre 2011 zugunsten von Anwohnerparken geopfert wurde. Das ist doch vernünftig, dann nehmen wir eben die Zahnradbahn von der Unterstadt in die Oberstadt. An der Seilbahnstation gibt es leider auch keine Parkplätze, wir kurven durch die Umgebung. Parkplätze sind gelb markiert, das ist nur für Einheimische. 1,8 Kilometer entfernt haben wir endlich Glück, parken und gehen zu Fuß zurück zur Seilbahnstation. Ziemlich schwül heute. Das T-Shirt klatscht schon auf der Haut. An der Zahnradbahn ist eine Schlange, wieder warten. Endlich am Schalter, erfahren wir, dass unser Kleinpudel einen Maulkorb benötigt, um mitfahren zu dürfen. Wir zeigen den Hund vor, er sieht aus wie ein Steiff Tier, harmlos und niedlich. Spielt keine Rolle. Andare, bellt die Dame am Kassenschalter. Ich bin unterzuckert, wollte eigentlich spätestens um 13 Uhr etwas essen. Stattdessen quälen wir uns jetzt die mit Kieselsteinen ausgelegten Treppen nach oben. Wir sehen Chinesen mit Flip-Flops, die aufgeben. Ohne festes Schuhwerk ist man hier chancenlos.

Es ist fast halb zwei, wir kollabieren in zwei Stühle eines Restaurants auf der Piazza. Heute ist der erste Arbeitstag des neuen Serviceteams aus Albanien, die Mädchen sind sehr freundlich und bemüht, aber sichtlich überfordert. Ich warte 15 lange Minuten mit ausgetrocknetem Gaumen auf mein bestelltes Bier, um dann zu erfahren, dass es heute kein Bier vom Fass gibt. Dann bitte ein Birra Moretti aus der Flasche. Drei Minuten, das war gut. Es gibt nur zwei Gerichte auf der schmalen Karte, die für Vegetarier in Frage kommen, eine Spaghetti Aglio Olio und eine mit Tomaten. Als die Teller kurz nach zwei Uhr schließlich auf dem Tisch stehen, schauen wir uns verwundert an. Die Spaghetti sind in kleine Stücke geschnitten worden. Wie man es für Kleinkinder macht. Unfassbar, mitten in Italien. Wir essen noch ein Stracciatella Eis, das ist in Bergamo erfunden worden. Es schmeckt wässrig und viel zu süß. Wir fahren jedenfalls nicht mehr nach Bergamo.




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